Dienstag, 15. Juli 2008

Das kleine weisse Knöpfchen

Es war einmal ein unscheinbares kleines weisses Knöpfchen, das lag bei Tante Hilde in einem Glas zusammen mit vielen anderen kleinen Knöpfchen. Es lag aber ganz weit unten am Boden und wollte doch so gerne einmal die Welt ausserhalb des Glases erblicken. Das Glas stand auf einer Kommode, in die sich Tante Hilde auf einem Flohmarkt sofort verliebt hatte und sie sich gleich mit nach Hause nahm. Irgendwie erinnerte das gute Stück an die Tage aus ihrer Kindheit, die sie oft in den Sommerferien bei ihrer Freundin Klara verbrachte. Erinnerungen die schon langsam verblasst waren, die aber durch die alte sperrige Kommode wie durch Zauberhand wieder in ihr Bewusstsein aufstiegen. Tante Hilde hatte noch nie an Zufälle geglaubt.
Das kleine weisse Knöpfchen lag nun also zwischen all den anderen seiner Art, versuchte durch die Lücken hindurchzublicken, an den Rand des Glases und darüber hinaus. Es wusste genau, dass es in einem Einmachglas lag, das oben geöffnet war, da Tante Hilde sich manchmal ein Knöpfchen heraus nahm, um es zum Nähen zu verwenden. Tante Hilde verbrachte ihre Freizeit oft mit Nähen, und liess so ihrer Kreativität freien Lauf. Erinnerungen an vergangene Tage stiegen dabei von Zeit zu Zeit in ihr hoch.
Die Wanduhr tickte leise vor sich hin, und mit jeder Minute und Sekunde die vergangen war, wurde es dunkler im ohnehin schon kleinen Zimmer, was sich Tante Hilde kurz nach dem Tod ihres Gatten vor einigen Jahren genommen hatte.

Ab und zu betrachtete sie noch das auf der Kommode stehende Bild, auf dem er, neben seiner Schwester, zu sehen war, und dachte wehmütig an die vergangenen Jahre zurück. Ein fahler Beigeschmack von Hoffnungslosigkeit machte sich in ihren Gesichtszügen bemerkbar. Die Sonne begann schon langsam unterzugehen und den Himmel orangerot zu färben, während der Abendhauch übers Land strich und die Ähren der Weizenfelder sanft hin- und herwiegen liess. Die alte Eiche vor dem Haus mutete in der Dämmerung wie ein riesiges Ungeheuer mit langen schnörkeligen Armen an. Schon von weitem konnte man ihre Silhouette sehen, alt und dennoch mächtig und erhaben.
Tante Hilde schob nach einem letzten Blick nach draussen die Vorhänge zusammen, schaltete die kleine Leselampe neben dem Sofa an und ging in die Küche, um sich eine Kanne Tee aufzusetzen.
Das kleine Knöpfchen im Glas auf der Kommode blickte immer noch gedankenverloren und doch konzentriert zum Rand hinauf, während es plötzlich an der Tür klopfte. Tante Hilde hatte sich gerade ihren Tee gebrüht als sie das Klopfen vernahm, trocknete sich noch schnell die Hände, schlürfte in ihren Schafwollhausschuhen behäbig zur Tür und drückte den schon etwas rostigen Griff nach unten. Draussen stand Cedric, der Nachbarsjunge, mit seinem Hund Finn, um Tante Hilde einen Besuch abzustatten.

Kaum hatte sie ihren beiden Gästen die Tür geöffnet, sprang ihr Finn mit einem freudigen Bellen schon entgegen und zwang sie in die Hocke. Man konnte dem kleinen Yorkshire seinen Enthusiasmus förmlich an der feuchten Hundenasenspitze ansehen. Tante Hilde zögerte nicht lange und bat ihre beiden Gäste in ihre kleine bescheidene Wohnung. Finn war noch immer völlig aus dem Häuschen und sprang freudig umher, Tante Hilde aber hatte sich schon daran gewöhnt und beachtete ihn nicht weiter. Als sie jedoch den Tee aus der Küche brachte und auf das Beistelltischchen neben der Kommode stellen wollte, kam ihr plötzlich der kleine Hund dazwischen. Mit einem Mal wurde durch den Schwung die Leselampe, die Tante Hilde zuvor angeknipst hatte, zu Boden geworfen und der Lichtschein richtete sich geradewegs auf das kleine Einmachglas auf der Kommode, in dem sich das kleine weisse Knöpfchen inmitten all den anderen Knöpfen befand und gedankenverloren und doch konzentriert zum Rand hinauf blickte und darüber hinaus zu blicken versuchte. Auf einmal war es vorbei mit der Träumerei und der Konzentration, und das kleine weisse Knöpfchen stand nun im wahrsten Sinne des Wortes im Rampenlicht. Eine gespannte Stille lag im Raum, und Tante Hilde schaute auf das Einmachglas auf der Kommode. Lange schon ist es her gewesen, als sie das letzte Mal das Glas mit den Knöpfen ausgeschüttet und ihre Knopfsammlung betrachtet hatte. Runde und eckige, gestreifte und karierte, sowie einfarbige und bunte Knöpfe, in allen Variationen und Formen und Grössen... Tante Hilde hielt einen Moment inne und versuchte die Bilder die sich vor ihrem inneren Auge abspielten, in eine logische Reihenfolge zu bringen. Der Duft blühender Apfelbäume im Sommer, Zitronenlimonade, Marmeladenkekse, tiefrote Fischermützen, Mückenstiche, Grasflecken, das rosarote Spielzeugauto ihres Bruders, die würzige Abendluft, Kaffeeduft im Speisezimmer, der nahegelegene See und die Trauerweiden am Ufer... Tag ein, Tag aus hatte sie, genau so gedankenverloren wie das kleine weisse Knöpfchen im Einmachglas, ihren Arbeitsalltag hinter sich gebracht, sich ab und zu einmal ein Knöpfchen aus dem Glas genommen, um damit eine Bluse oder ein Kleid zu zieren und es darauffolgend in die Kommode zu legen.

Cedric hatte sich auf das Sofa gesetzt und die Tageszeitung gelesen, als die plötzliche Stille ihn aus seinen Gedanken riss. Er schaute ungläubig und überrascht zwischen dem Einmachglas und der Leselampe hin und her, dazwischen warf er auch einen Blick auf Tante Hilde. Diese hatte sich bald wieder beruhigt und nahm das Glas von der Kommode, um sich die Knöpfe darin genauer zu betrachten. Cedric nahm ihre Hand, drückte sie gegen seine Wange, und wurde auf das kleine weisse Knöpfchen aufmerksam. Irgendetwas verband er mit dem Knöpfchen, doch wusste er nicht genau, was genau es gewesen war. Vorsichtig begann Tante Hilde, das Glas auszuschütten, und die vielen bunten Knöpfe plumpsten wild durcheinander auf den Tisch in der Mitte des Wohnzimmers. Unter ihnen war ein Knopf, den Tante Hilde's Bruder früher an seinem Hemd getragen hatte. Irgendwann jedoch zog er fort und vergass sein Leinenhemd bei seiner Schwester, dem Hildchen wie er sie immer liebevoll zu nennen pflegte. Ein anderer hatte die Form einer Blumenblüte, und stammte von einem türkisfarbenen Sommerkleid, was Tante Hilde oft getragen hatte, als sie mit ihren Eltern zu deren Verwandten an die Küste fuhren. Der laue Küstenwind kam aus dem Westen und fegte über die sanft abfallenden Strände und Felsklippen, das Salzwasser vermischte sich mit dem Sand wenn man die Füße eingrub, und kleine Wirbel entstanden... und dann war da noch ein dicker schwarzer Manschettenknopf, den Tante Hildes Vater an seinem Hemdärmel trug. Wenn er sie, als sie noch klein war, auf seinen Schoss hob, um mit ihr ein Bilderbuch anzusehen, streifte ihr Blick oft den dicken schwarzen Manschettenknopf an seinem Hemdärmel, und sie fühlte sich geborgen und beschützt. Genau wie jetzt, als sie beim Anschauen des Knopfes alte Erinnerungen aufsteigen liess und noch einmal die Geborgenheit spürte, die ihr Vater ihr gegeben hatte.

Cedric hatte sich das kleine weisse Knöpfchen, das ihn so faszinierte und das er sich genau betrachtete, schon herausgesucht, und konnte seinen Blick nicht wieder davon abwenden. Irgendetwas magisches hatte es an sich, und wenn man es ins Licht hielt, zeichneten sich hauchdünne Linien ab, die in ihrer Gesamtheit einem Regenbogen ziemlich ähnlich sahen. Im Licht der Leselampe bemühte sich das kleine Knöpfchen so intensiv wie nur möglich zu schimmern, um Cedric noch mehr in seinen Bann zu ziehen, denn es hatte sich gleich von Anfang an danach gesehnt, an seinen ursprünglichen Platz zurück zu kommen. In dem Einmachglas von Tante Hilde wurde es mit der Zeit ziemlich ungemütlich und das Licht konnte auch nicht mehr so gut hindurchdringen. Das kleine Knöpfchen erinnerte sich in diesem Moment an die heissen Sommertage am See, die Mittagshitze, welche die hauchdünnen Linien zum Schimmern brachte, und den Westwind, der eine kühle Brise das Dorf hinab schickte.
Schöne Erinnerungen waren es gewesen, doch sie nahmen ein Ende, als das kleine Knöpfchen im Einmachglas auf der Kommode neben dem Beistelltischchen mit der Leselampe landete.

Tante Hilde sah den verträumt blickenden Cedric an ihrer Seite stehen und hatte schon geahnt, was in ihm wohl vorging. "Tante Hilde, kannst du dich noch an meinen roten Fischerhut erinnern, der mit den weissen Knöpfen links und rechts?", fragte Cedric, betrachtete dabei genau das kleine weisse Knöpfchen in seiner Hand und versuchte sein Schimmern für immer einzufangen und sich ins Gedächtnis zu brennen. Während der Sommermonate der vergangenen Jahre hatte Cedric oft mit seinen Freunden am See gespielt, sie hatten sich ein Floss gebaut aus den Ästen die am Ufer lagen, und unternahmen damit ihre ersten Paddelversuche. Das kleine weisse Knöpfchen am Fischerhut hatte die Sonne, den Wind und das Wasser genossen und hatte mit keiner Faser oder eher Linie auf seiner Oberfläche daran gedacht, dass es irgendwann einmal eingesperrt in einem Einmachglas auf einer Kommode zusammen mit vielen anderen Knöpfen sein würde. Es sehnte sich wieder nach den alten Sommertagen, und wünschte sich nichts sehnlicher als von Tante Hilde an den roten Fischerhut genäht und von Cedric davongetragen zu werden.
Tante Hilde überlegte nicht lange, und bat Cedric an, ihm den Knopf wieder an den Hut zu nähen. Cedric hatte ihn damals irgendwo am See verloren, als er sich mit seinen Freunden neckte und kabbelte, und die Hüte nur so hin und her flogen. Alle seine Freunde besassen Fischerhüte, jeder einzelne in einer anderen Farbe. Tante Hilde sammelte zu der Zeit alle möglichen Arten von Knöpfen, und als sie eines Abends ihren täglichen Spaziergang am See machte, entdeckte sie im Schein der Laternenlichter am Ufer das kleine weisse Knöpfchen allein vor sich hin schimmern. Sie hob es auf, dachte nicht weiter darüber nach, wem es gehören könnte und steckte es in ihre linke Strickjackentasche. Daheim liess sie es sich zu all den anderen Knöpfen gesellen. An irgendetwas hatte sie das kleine weisse Knöpfchen erinnert, doch sie kam nicht darauf, was genau es war.
"Oh ja, gerne, Tante Hilde!", Cedric blickte sie freudestrahlend an, schaute hin und her zwischen dem kleinen weissen Knöpfchen und ihr und die Erinnerungen an die heissen Sommertage am See stiegen in ihm hoch. Finn saß treu an seiner Seite und blickte erwartungsvoll zu ihm auf.
Das kleine weisse Knöpfchen konnte sich vor Freude nicht mehr beherrschen und funkelte in seinen strahlendsten Nuancen seinen drei Erlösern entgegen, und während Tante Hilde auf ihren Nähschrank zuging und Finn ihr hinterhersprang, ging Cedric mit seinem Knöpfchen zurück zu seinem Haus, nahm den Fischerhut und brachte sie wieder zurück zu Tante Hilde. Das kleine Knöpfchen hatte sich schon endlos lang nach diesem Moment gesehnt, aber hatte nie für möglich gehalten, dass es noch einmal an seinen ursprünglichen Platz zurückkehren würde. Die vielen Momente im Sonnenschein am See, Finns freudiges Gebell und das Lachen der anderen Kinder aus dem Dorf... es begann alles wieder von Neuem lebendig zu werden, und das kleine Knöpfchen konnte sogar den Wind spüren, wie er aus dem Westen kam und das Land hinabwehte. Als Tante Hilde den Knopf am Hut angebracht hatte, stülpte sie ihm Cedric über den Kopf. Breit und schelmisch grinsend umarmte er sie und gab ihr einen Kuss auf die Wange, und im nächsten Augenblick war er schon mit seinem kleinen Yorkshire blitzschnell durch die Wohnungstür entschwunden. Tante Hilde lächelte ihm noch milde nach.

Eines schönen Tages...

Eines schönen Tages,
High noon war grad vorbei,
Saß ich an meinem Schreibtisch,
's war alles einerlei.

Meine Gedanken liess ich schweifen,
Wie dann und wann einmal,
Statistik war nicht zu begreifen,
Das war auch nicht sehr fatal.

So liess ich mich denn treiben
Schon ganz gespannt wohin,
Ich kannte keine Grenzen,
Nichts verengte meinen Sinn.

Gedanken kamen und gingen
Wie des Meeres Gezeiten,
Als plötzlich die Idee entstand,
Gedichte im Internet zu verbreiten.

Ein Gedichtchenkistchen klein und fein,
Wo noch so allerhand Andres passt hinein.
Gedankenbilder, Bildgedanken,
Ohne Grenzen, ohne Schranken.

Zum schwelgen, zum verweilen,
Zum träumen und zum Seele heilen.

Zum wundern und zum staunen,
Zum Weisheiten hinausposaunen.

Zum schmunzeln und erheitern,
Und zum Horizont erweitern.

Drum bleib mal hier,
Ich lad dich ein,
Und lass einmal von Zeit zu Zeit,
Alle Fünfe grade sein.

sofa

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